Gestern 12:06
Marlowe  Madeira-Natternkopf

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Immobilie suchen – Kriterien und Tipps
Hallo zusammen,
melde mich mal aus Ferne mit einigen praxisnahen Hinweisen zur Objekt-Suche auf Madeira.
Warum ich mir das als Nicht-Resident anmaße? Ich habe beinahe zwei Jahrzehnte lang für Immobiliendatenbanken gearbeitet und kenne technische und wirtschaftliche Details. Diese dürften trotz Unterschieden z.B. bei Provisionen auch auf den Immobilienmarkt auf Madeira zutreffen. Meine Hinweise werden alles andere als erschöpfend sein. Da ich keinen geeigneten Thread gefunden habe, eröffne ich diesen hier mit der Bitte um Ergänzung durch Residenten.
Nachdem man sich entschieden hat, auf Madeira sesshaft zu werden, schaut man zumeist erst auf die Internet-Angebote und stößt auf Datenbanken, die ähnlich wie in Zentraleuropa Angebot diverser Anbieter abbilden. Hier gibt es Bestandsimmobilien in gewachsener Umgebung als auch kürzlich fertig gestellte oder erst projektierte Immobilien. Deren m²-Angaben scheinen etwas lockerer gehandhabt zu werden, als z.B. auf dem deutschen Markt üblich. (Hinweis am Rande. Wohnungen und Häuser werden als „Typen“ T1, T2, T3 und so weiter angeboten = Gesamtanzahl der Zimmer.)
Eine Auffälligkeit bei den Angeboten: solche mit der Angabe „ohne Hausnummer“ scheinen immer in einem Neubaugebiet zu liegen. Korrigiert mich, falsch ich mich irre. Das bedeutet, dass man wahrscheinlich auf Jahre hinaus noch mit Baulärm rechnen sollte.
Die Wohnlagen auf Madeira sind geografisch bedingt sehr eng bebaut. Wer absolute Ruhe sucht, bezahlt dafür meisten mit einem großen Mangel an Infrastruktur. Überhaupt ist bei Südeuropäern die sogenannte „Individual-Distanz“ geringer und die Lärm-Toleranz höher, als in „typischen deutschen Reihenhaus-Siedlungen“.
Die geografischen Gegebenheiten führen auf Madeira zu einer Bauweise, die ab einer gewissen Objektgröße meistens zur Split-Level- oder zur mehrgeschossigen Bauweise führen. Je nach Alter und Fitness schränkt deswegen das Kriterium der Barriere-Freiheit schon in den eigenen vier Wänden die Auswahl ein. Weiter geht es dann draußen. Während in einer ebenen Stadt ein Fußweg von 800 m zum nächsten Café und zurück ein Klacks ist, kann das am Hang schon recht anstrengend werden. Das beim Immobilienkauf oft zitierte „Lage, Lage, Lage“, muss man auf Madeira daher dreidimensional denken. Kann/will ich auf Dauer meine Beinmuskulatur trainieren?
Angesichts der Flut von Angeboten, stellt man sich schnell die Frage, wo die jeweiligen Objekte denn tatsächlich liegen. Hier kann man schon aus der Ferne strategisch vorgehen, und es kommen einem ein paar Besonderheiten des Marktes im Vergleich zu D, A, CH zugute. Zunächst sollte man sich grob orientieren, was man bezahlen will/kann, welche Infrastruktur man benötigt und welches kulturelle bzw. Freizeit-Angebot man nutzen möchte. Hier liegt Google Maps vorne mit der Möglichkeit diverse vordefinierte Kategorien anzeigen zu lassen, als auch nach eigenen Kriterien zu suchen (dann aber in Landessprache!). Ergänzend nutzt man idealerweise Google Earth um Höhenunterschiede auszuloten (die Höhenmeter kann man in der Fußzeile sehen). Auch lassen sich in Google Earth Flächen ausmessen (wie groß ist der Garten; wieviel PV-Struktur passt aufs Dach …). Bei der Einschätzung einer potentiellen Lebensumgebung ist Google Maps sehr hilfreich. Einige Anbieter liefern auch eine Karte der Stadtteile von Funchal (-> Google!). Sucht man, sobald man seine Wunschgebiete eingegrenzt hat, unter Angabe des Stadtteils nach Angeboten, hat man die Suchergebnisse schon einigermaßen brauchbar eingegrenzt.
Hier kommen einem die Besonderheiten der portugiesischen Immobilien-Wirtschaft entgegen. Ohne ins Detail zu gehen: portugiesische Makler müssen ihren Objekt-Bestand nicht so eifersüchtig verteidigen, wie man das aus der D-A-CH-Region kennt. Auch, wenn sie meistens keine Objekt-Adresse nennen, sind sie mit Rand-Informationen und Bildern oft doch so mitteilsam, dass man die meisten Objekte schon in Google-Maps oder Google Earth finden kann. Voraussetzungen: man sollte etwas Geduld, detektivischen Spürsinn mitbringen und dazu noch Karten lesen können. Hinzu kommt, dass die Stadtteile auf Madeira viel kleiner sind, als auf dem Festland. Suche ich gezielt nach z.B. „Penthouse kaufen Funchal Sé“ bekomme ich schon eine einigermaßen zuverlässig eingeschränkte Auswahl (es sei denn ein Maklerbüro liegt zufällig im Ortsteil Sé).
Die Textbeschreibungen der Objekte sind oft „malerisch“ und geben unbeabsichtigte Hinweise auf die Lage (unmittelbare Nähe zu Schule, Park, Einkaufszentrum, „Blick auf …“ usw.). Die Bebilderung der Angebote ist in den seltensten Fällen optisch verfremdet. So lässt sich oft durch den Abgleich von Textbeschreibung und Fotos vom Balkon oder der Terrasse die tatsächliche Lage eingrenzen oder sogar exakt bestimmen. Was alles bei der „Luftbild-Auswertung“ im Falle Funchal hilft: - der Winkel, in dem man die Hafenmole evtl. im Vergleich zum Schornstein im Park von Santa Luzia sieht oder die Seile/Kabinen der Seilbahn, Winkel großer Strukturen zueinander, - benachbarte Bebauungsgrenzen weisen oft auch Taleinschnitte hin, - Luftbilder mit „verräterischen“ Details: Dächer von Großbauten, große PV-Anlagen (Alter des Kartenmaterials beachten! – -> Fußzeile Maps/Earth), ausgefallene Pool-Umrisse (sehr gut zu finden!), Lage von Straßenmarkierungen paralleler Straßen (z.B. Fußgängerüberwege), - oft aber auch ganz simpel der Blick auf Firmenschilder, Schulen, Sportplätze, auffällige architektonische Strukturen.
Wozu der Aufwand? Bevor man seine Adresse als Interessent preisgibt (mit Kapitalnachweis und einem Rattenschwanz an Korrespondenz), kann man aus einem Korb von infrage kommenden Objekt schonmal selektieren. Mit etwas Spürsinn findet man die meisten Objekte innerhalb einer halben Stunde oder kann sie mindestens auf einen Umkreis von 200 m eingrenzen.
In Randlagen wäre interessant zu erfahren, ob und welche Bebauungspläne es gibt und wo sie publiziert werden. Vielleicht kann ein erfahrener Resident hier meine Wissenslücken füllen.
JURISTISCH – das muss man großschreiben – gestaltet sich der Immobilien-Erwerb etwas anders als in D-A-CH gewohnt. Notare haben bei weitem nicht die Ausbildung, den Sachverstand und die Pflichten, wie man das als Deutscher erwartet. Sie erledigen nur für den Papierkram rund um den Eigentumsübergang. Dabei müssen sie auch nur wenig an baulichen Sachverhalten prüfen. Also wird allgemein empfohlen, einen sachkundigen Rechtsanwalt einzuschalten, zumindest jedoch einen sehr erfahrenen Immobilienkäufer.
So, das wäre mein Tübchen Senf zu dem Thema. Ich hoffe auf sachkundige Ergänzungen.
Viele Grüße Toni
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